Farben der Erinnerung _ Wanheimerort
29.04.2011 – 31.10.2011
Ulrich Erben, Farben der Erinnerung (Wanheimerort)
vier Bilder
Acryl auf Leinwand, 190 x 270 cm
1991-1992
„Mein Arbeitsraum ist hoch, im Grundriss quadratisch. Acht Fenster liegen je vier zu vier sich gegenüber. Gutes Licht. Querlüftung; trotzdem bleibt ständig dieser intensive Terpentingeruch. An der Stirnseite stehen die Bilder angelehnt. Papierarbeiten auf dem Boden verstreut. Stille. Alles was uns umgibt, ist Spannung zu uns.“ (U.E., Zwischenräume, 1987). Ulrich Erben schildert sein Atelier in einer ehemaligen, inzwischen abgerissenen Schule an der Eschenstraße im Duisburger Stadtteil Wanheimerort, über das er von 1987 bis 1993 verfügte. Hier entstanden Farben der Erinnerung titulierte Bilder, in denen Erben seine Rückkehr zur Farbe – nach einer Dekade weißer Bilder von 1968 bis 1977 – in den formal lockereren Bildern der prima vista-Serie von 1977 bis 1987 verband mit seiner Rückkehr zur geometrischen Struktur seiner „weißen Bilder“. Fünf dieser Bilder der Farben der Erinnerung – alle gleich groß – tragen den Titel Wanheimerort. Eins davon gehört dem Museum Wiesbaden, drei hat der Künstler kürzlich dem Museum DKM als Schenkung überlassen. Diese vier Bilder aus den Jahren 1991 – 1992 werden nun in einem Raum präsentiert.
„Leinwände, die ich bemale, liegen auf dem Boden, das verhindert das Laufen der Farben; ich habe die Möglichkeit, die entstehende Arbeit von allen Seiten zu sehen und zu bearbeiten. Das Format steht im Verhältnis zu meinem Körper; es kann nur so groß sein, dass ich die Mitte gut erreiche. In der Regel entstehen Vorskizzen, an die ich mich aber nur begrenzt halte. Sind in den letzten Jahren die Bilder sehr unmittelbar und scheinbar direkt entstanden, so ist das zwar bei den neuen Arbeiten auch so, nur übermale ich sie stärker; ein Rückgriff auf meine weißen Bilder, die zwischen 1968 und 1977 meine Arbeit primär bestimmten. Ich stelle ohnehin fest, dass alles, was an neuen Arbeiten ansteht, einen direkten Bezug zu meinen früheren hat. In dem, was ich jetzt tue, tauchen immer Dinge auf, die sich bereits einmal in anderen Zusammenhängen abgespielt haben. Der Schritt in die Zukunft ist für mich eine Reise in die Vergangenheit. Ich fahre die bekannte Strecke, nur die Sicht aus dem Fenster hat sich verändert und macht neugierig.“ Mit diesen Sätzen (U.E., Zwischenräume, 1987) lässt der Maler am Entstehen seiner Bilder im Atelier in Wanheimerort teilnehmen.
Wanheimerort war zur Zeit Ulrich Erbens, also von 1987 bis 1993, ein ganz anderer Ort als der, den wir heute sehen können. Kupferhütte, Kabelwerk, Stahlwerk – alles perdu wie das Schulgebäude. Was überliefern die Farben über Erbens Wanheimerort? Zunächst aber ein Blick auf die Bilder selbst: Die querrechteckigen Bildfelder weisen alle einen breiten Rand auf, der ein querrechteckiges Feld im Innern umschließt. Der Rand ist unterschiedlich im Maß: oben höher als unten und links/rechts noch schmaler. Das innere Feld ist bei zwei Bildern ungeteilt, bei einem in drei vertikale Sektoren gegliedert und beim anderen in sieben horizontale Streifen unterteilt. Die beiden Bilder mit ungeteiltem Binnenfeld stimmen auch darin überein, dass der untere Randbereich im Maß des zentralen Feldes seitlich begrenzt ist. Bei gleichem Aufbau divergieren die Bilder in den Farben. Dasjenige mit schwarzblauem und unten schwarzgrauem Rand lässt im Zentrum ein leuchtendes Gelb aufstrahlen. Dasjenige mit braunrotem und unten braunbeigem Rand birgt innen ein dunkelgrünes Feld. Die Braunrottöne dominieren auch die beiden anderen Bilder. In gebrannter Siena ist jeweils der Randbereich gehalten. Bei dem Bild mit dreigeteiltem Mittelfeld füllt Kobaltblau die seitlichen, vertikalen Sektoren, während der fast quadratische Sektor dazwischen ein Rotbraun aufnimmt, das sich mit dem Braunrot des oberen und unteren Randes verbindet und zugleich etwas davon absetzt. Bei dem Bild mit horizontal gegliederter Mitte fassen vier schmale Streifen drei etwas breitere ein. Der obere/untere schmale und der mittlere breitere Streifen weisen übereinstimmend einen braungrünen Umbraton auf, während die anderen beiden breiteren Streifen ein volles, in sich variiertes Rot zeigen, begleitet von schmalen, rotbraunen Streifen, die zum mittleren Umbra-Streifen vermitteln. Zum Bildbau hat Erben bemerkt: „Komposition ist ein Begriff, der an Bedeutung verloren hat. Ich würde das Wort Komposition nicht mehr für mich beanspruchen, sondern eher von Setzungen sprechen.“ … „Bei den Farben der Erinnerung ist die Bildmitte häufig präsent. Entscheidend ist jedoch eher die Symmetrie, um der Setzung Ruhe zu geben. Die Farbe ist das Leben, die Unruhe. Die Mitte ist statisch, sie ist dauernde Anwesenheit.“ (Gespräch mit Tayfun Belgin, 1997)
Zurück zur Frage, was die Farben der Erinnerung (Wanheimerort) über Erbens Wanheimerort berichten. Bei drei der Bilder dominieren Farbtöne aus dem Spektrum Rot-Rotbraun-Braun-Braunbeige in Kombination mit Blau, Dunkelgrün. Es sind Farbtöne, die primär durch Kupferhütte und Stahlwerk produziert wurden, das Braunrot der Stäube beim Abblasen der Thomasbirnen, der Emissionen bei der Kupferherstellung. Das dichte Blau ist kein Himmelblau, der Rhein war eh nicht blau, also ein Farbeindruck, der irgendwo in Wanheimerort hängen geblieben sein muss, womöglich abends, ebenso wie das Dunkelgrün, das an Bäume gegen Abend erinnert. Das Schwarzblau/Schwarzgrau in Verbindung mit dem leuchtenden Gelb vermittelt einen Eindruck, den der Maler bei seiner späten Rückkehr von der Arbeit im Duisburger Atelier ins heimische Düsseldorf mitgenommen haben dürfte.
Ulrich Erben ist also kein Vertreter konkreter Malerei, die keine übertragenen, verschlüsselten Informationen übermitteln will und nur durch ihre physische Präsenz im gegebenen Umraum wirkt. „Für mich – so Erben im Gespräch mit Tayfun Belgin, 1997 – ist die Diskussion: abstrakt oder gegenständlich, so alt sie ist, irrelevant. Das Gegenständliche besteht wie das Abstrakte aus Formen und Farben.“ Und Peter Friese bemerkte zu Erbens Malerei: „Auch wenn man es am Ende seinen Bildern nicht ohne Weiteres anzusehen vermag, nimmt der Künstler Naturanschauung, Gesehenes, Erlebtes, Empfundenes und Erinnertes zum Anlass, um etwas zu schaffen, das auf überzeugende Weise rein malerisch und ohne verpflichtende Gegenstandsanbindung für sich existieren kann.“ Erben, geboren 1940 in Düsseldorf, aufgewachsen in Rom, absolvierte sein Studium in Hamburg, Venedig und Berlin von 1958 bis 1965. Danach hatte er 1966 ein Atelier bei Goch am Niederrhein, wo er sich mit der Landschaft auseinandersetzte. Ein Aufenthalt in New York 1967 führte zu vereinfachten Formen und zur Reduktion der Farbe. Ab 1968 entstanden weiß übermalte Bilder in strengen geometrischen Formen, Lichtobjekte und Wandbilder. Ab 1977 malte er farbige prima vista-Bilder in lockeren Bildstrukturen. In der folgenden Serie der „Farben der Erinnerung“ ab 1988 nahm Erben die strengen, geometrischen Strukturen der früheren „weißen Bilder“ wieder auf. Zwischen 1998 und 2001 malte Erben kleinformatige was ich sehe-Bilder, in denen Landschaftseindrücke von wechselnder Erkennbarkeit und Abstraktion festgehalten sind. In den letzten zehn Jahren spielt Erben souverän mit den künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, die er sich im Laufe seiner Arbeit eröffnet hat. Dabei findet er häufiger als früher Gelegenheiten, ganze Wände, Räume, Architekturen zu gestalten (Museum Kurhaus, Kleve, 1988; Westfälischer Kunstverein, Münster, 1999–2000; DSGV, Berlin, 2001; Jakob-Kaiser-Haus, Berlin, 2001; Galleria Studio G7, Bologna, 2004; Galerie DKM, Duisburg, 2005; Castello di Montalfina, Orvieto, 2009).
Gert Kreytenberg
Ulrich Erben, Zwischenräume, 1987
Ulrich Erben. Zeche Zollverein Essen, Gespräch mit Tayfun Belgin, 1997
Volker Rattemeyer (Hg.), Ulrich Erben, Museum Wiesbaden, 2003
Peter Friese, Balanceakt. Gedanken zur Arbeit von Ulrich Erben, in: Ulrich Erben, Galleria Studio G7, Bologna 2010, S. 9–11