HYDRA : Ort der Bilder

JAI YOUNG PARK

18.03.2000 – 28.05.2000

Jai Young Park, Ausstellungsansicht Galerie DKM
Foto: Thomas Berns

Hydra
– Der mediatisierte Blick gebiert immer neue Ungeheuer –

Der Duisburg Innenhafen: Lange haftete hartnäckig der Ruß der Montanindustrie an den verbliebenen imposanten Getreidespeichern und Mühlen aus der Zeit der Jahrhundertwende. Neun Jahre ist es her, dass man nach einem Masterplan von Norman Foster die umfassende Neustrukturierung in ein multifunktionales Wohn- und Dienstleistungszentrum in Angriff nahm. Der Vergleich mit Investitionen in die Londoner Docklands ist sicher nicht zu hoch gegriffen. Vorbildhaft für die Revitalisierung des brachliegenden Duisburger Umschlaghafens ist auch der Garten der Erinnerungen. Dani Karavan hat Versatzstücke alter Hafenbauten wie Reliquien collagenartig in dem von ihm gestalteten Altstadtpark konserviert. Und in dieser neu gewonnenen landschaftsarchitektonischen Enklave beginnt sich nach und nach ein lebendiges Kulturszenarium herauszuschälen. Die private Stiftung DKM hat wesentlichen Anteil an jenen Impulsen, die dem Hafenareal die Atmosphäre eines kulturellen Integrationsorts für Anwohner und Nutzer verleihen sollen.

Haus Trinks, inmitten des Gartens der Erinnerungen gelegen, ist als zentraler Spielort für die grenzüberschreitenden Projekte zeitgenössischer Kunst und neuer Musik gedacht. Die Stiftung DKM teilt sich das renovierte Haus am Philosophenweg 17A, in den vormals ein Getränkehandel untergebracht war, mit der ebenfalls neu gegründeten EarPort GmbH der beiden Komponisten Gerhard Stäbler und Kunsu Shim. Während EarPort mit Konzertreihen, Workshops und Performances vor allem die experimentellen Möglichkeiten der Musik heute auslotet, engagiert sich die Stiftung DKM verstärkt für Projekte mit Neuen Medien und situativer auf die Duisburger Industriekultur reagierende Kunst.

Hinter den Initialen DKM verbergen sich die Namen der Stiftungsgründer Dirk Krämer und Klaus Maas. In der ehemaligen LKW-Wartungshalle haben die beiden passionierten Sammler einen jederzeit einsehbaren Bühnenkasten für aktuelle Kunst einrichten lassen. Im zwei- bis dreimonatigen Turnus werden in dieser Schaufenstergalerie neue Ausstellungen zu sehen sein. Das Obergeschoß mit seinen Büroräumen beherbergt die Treuhandverwaltung und das noch im Aufbau befindliche Archiv des Münchner Bildhauers Ernst Hermanns. Über die wissenschaftliche Betreuung und Publikmachung von Hermanns Werk hinaus sollen regelmäßig Ausstellungen mit seinen Plastiken organisiert werden. In Kürze plant DKM auch die Vergabe eines projektgebundenen Ernst-Hermanns-Stipendiums für Künstler, Kunstwissenschaftler und interdisziplinär arbeitende Kuratoren. Übrigens befindet sich die Stiftung DKM im Duisburger Innenhafen in bester Gesellschaft: Benachbart ist nicht nur die von Herzog & de Meuron zum Privatmuseum des Sammlers Hans Grothe umgebaute Küppers-Mühle, sondern auch Zvi Heckers jüdisches Gemeindezentrum. Im Rahmen der geförderten Kulturmeile Duisburg sind auch Kooperationen mit dem Wilhelm Lehmbruck Museum und dem Kulturdezernat der Stadt Duisburg vorgesehen.

Den offiziellen Auftakt der Ausstellungsaktivitäten von DKM bestreitet Jai-Young Park aus München. Als Maler, Bildhauer, Multimediakünstler in Personalunion ist Park geradezu prädestiniert, einen interdisziplinären Diskurs anzuregen. Und seine Biographie weist Park zudem als Grenzgänger zwischen den Kulturen aus: 1957 in Seoul geboren, kam er bereits mit neun Jahren nach Deutschland. Nach einem Studium der Malerei an der Münchner Akademie der bildenden Künste beschäftigte Park sich mehr und mehr mit der Frage des Realitätsgehalts und des Imaginationsursprungs von Bildern in einer globalisierten Welt.

Für die Stiftung DKM realisiert Park nun eine Installation mit sechs korpulenten, auf der Drehbank produzierten Gipsskulpturen. Einen interkulturellen Transfer – wenngleich im übertragenen Sinn – hatten auch die Gipskörper hinter sich, ehe sie in Duisburg zumindest einen vorübergehenden Landehafen fanden. Die sechs unterschiedlich großen, wie weibliche Körper taillierten Figuren waren 1995 vorübergehend in einem frisch bepflanzten Reisfeld nahe von Seoul platziert. Park machte die mal mehr an Pagoden, mal mehr an Urnen erinnernden Skulpturen zum Bestandteil eines gerade noch intakten, fast romantisch anmutenden Landschaftspanoramas. Im Zuge der gnadenlosen infrastrukturellen und wirtschaftlichen Aufrüstung in Südkorea werden die Reisfelder – vormals materielle Basis der asiatischen Kultur – zunehmend den Planierraupen preisgegeben. Die Ethnologin und Kunsttheoretikerin Lydia Haustein sprach angesichts von Parks Installation Visions Across the Paddyfield von einem «Gefühl poetischer Zeitlosigkeit», das im Ritual der Reispflanzung ein letztes Mal wach gerufen worden sei. Anlässlich eines international besetzten Symposiums im Berliner Haus der Kulturen der Welt wurden Parks Gipsfiguren schließlich 1996 nach Deutschland zurückbeordert, waren Gegenstand einer Diskussion über das kollektive Bildgedächtnis. In Duisburg erscheinen die «Exoten» nun wie Museumsstücke in einer Vitrine verwahrt. Damit nicht genug: Park konterkariert das durch die Glasscheibe entrückte plastische Ensemble mit einem fiktiven Betrachter. Auf einen außerhalb der Galerie gelagerten Monolithen hat er einen verkehrten Menschenkopf projiziert, der freilich nur nachts zu sehen ist.

Laut Park ist es uns heute kaum mehr möglich Dinge anders als durch einen medialen Filter zu betrachten. Deshalb auch der Titel Hydra. Es geht einem in der von Park beschworenen mediatisierten Bilderwelt ein bisschen wie beim Öffnen einer Russischen Puppe: Hinter jedem Medienbild steckt nicht etwa das vermutete Original, sondern wieder ein anderes simuliertes Bild. Direkte und damit auch auratische Bilderfahrung ist kaum mehr möglich. Jai-Young Park ist seit 1998 Professor für Plastik und Multimedia an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. In dieser künstlerischen Doppellehrfunktion ist naturgemäß schon das heute janusköpfige Verhältnis zwischen Physischen und Virtuellem, Sein und Schein, durchlässigem und konkretem Raum angelegt. Parks Gipsfiguren wirken wie entfernte, aber doch sehr präsente Abkömmlinge einer nicht mehr existierenden, in sich geschlossenen Kulturlandschaft.

Birgit Sonna