Nichtraum Verborgener Raum Freiheit des Raumes

ERICH REUSCH

01.03.2006 – 21.05.2006

Erich Reusch, Ausstellungsansicht Museum DKM
Foto: Werner J. Hannappel

Nichtraum · Verborgener Raum · Freiheit des Raumes

Erich Reusch überwand seit Ende der fünfziger Jahre die Begrenzung der plastischen Form und öffnete sie auf den Raum, auf das Unbegrenzte. Diese Überwindung der traditionellen Skulptur, die sich durch Abgrenzung (Modellierung) definiert, war damals das Ziel vieler Bildhauer. Reusch unterscheidet sich von ihnen, indem er nicht die Skulptur selbst öffnete, aufbrach, fragmentierte, ihr das Volumen entzog. Er öffnete den Blick auf sie und richtete ihn in den unbegrenzten Raum. Die materiellen Formen blieben ruhig, überschaubar, oft sogar geschlossen. Aber sie traten aus der Mitte des Blickfelds, sie wurden «dezentral». Der offene Raum, der für sich selbst nicht anschaubar ist, trat in den Blick – als positiver Widerpart zu den materiellen Formen, als Richtung, Zwischenraum, Spannung und offenes Bezugsfeld.

Es gibt von Reusch einige – wenige – Arbeiten, bei denen er nicht die plastische Form ins Verhältnis zum offenen Außenraum setzte, sondern wo er den Innenraum selbst als (von Wänden) umgrenztes Volumen zum Thema machte. Auch hier öffnete er die Grenzen, allerdings nicht, indem er die Wände aufbrach, sondern indem er dem Blick, der sich in diesen Raum richtet, die begrenzende Orientierung entzog. Der Raum öffnete sich nicht als physische Gegebenheit, sondern als visuelle Erfahrung.

Bei dieser Entgrenzung des Innenraums geht Reusch formal ganz anders vor als bei der Entgrenzung der materiellen Skulptur im offenen Raum. Er entwirft nicht bloß eine «Installation», die immer noch den geschlossenen Raum als visuelle Gegebenheit akzeptiert, sondern er entzieht diesen Innenraum in seiner Gesamtheit (als Umschließung) dem Blick. Schon am 27.7.1967 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung von einem Entwurf, der den «Wunsch» von Reusch wiedergibt, „eine einzige Plastik durch das Treppenhaus, durch die Fenster ins Freie lenken zu dürfen“: eine Woge aus einer Unzahl von Vierkantstahlrohren, die den Innenraum als begrenzte Gegebenheit visuell überflutet. 1972 verstellte Reusch den Zentralraum des Dortmunder Museums am Ostwall durch eine undurchdringliche Wand aus ungehobelten Brettern bis 50 cm unter die Decke; innen verstärkten unlokalisierbare Geräusche die Erfahrung eines Innenraumes, der vorhanden und erkennbar war, aber nicht visuell erfassbar (Verborgener Raum). Die unbegrenzte Sicht, die der Betrachter an den Außenskulpturen von Reusch als Öffnung erfährt, wurde hier verstellt, unterbrochen, verriegelt. Die Bretterwand rückte den Innenraum dem Betrachter so nahe, dass er die distanzierende und neutralisierende Übersicht verlor.

Die Arbeit Nichtraum · Verborgener Raum · Freiheit des Raumes nimmt dem Betrachter mit anderen Mitteln die Übersicht: sie entzieht ihm den Raum als Orientierung, als überschaubares Gebilde aus Höhe, Breite und Tiefe. Die Arbeit wirkt sperrig; der Raum ist nicht mehr das, was man wieder erkennt, von dessen Koordinaten und Gegebenheiten aus man sich der Arbeit zuwenden kann. Die Arbeit ist selbst der Raum. Doch inwieweit ist er noch «Raum», wenn er seine Vorbedingungen der Abmessungen und abstrakten Zuordnungen verliert?

Die Gegebenheiten sind die schaufensterartige Glasfront, die abschließende Rückwand, die eingrenzenden Seitenwände, Boden und Decke. Durch von innen her angelehnte ungehobelte Bretter wird die Glasfront weitgehend verstellt; die Bretter treten in den Blick, ohne ein Inneres einzugrenzen. Die Rückwand zeigt «Bilder», deren Leinwand fast völlig herausgeschnitten ist; man blickt in die Bilder auf die Wand, die zum Bestandteil ihrer – entzogenen – Bildwelt wird. Die linke Wand verliert ihre abgrenzende Funktion; sie setzt sich in einer Spiegelfläche, die vor ihr auf dem Boden liegt, nach unten hin fort und verbindet sich mit einer Vertikalrichtung aus fünf Neon-Leuchtlinien an der Rückwand, die sich ebenfalls in den Spiegel hinein fortsetzt. Der Raum verliert seine Einheit aus den Entsprechungen seiner Grenzen. Damit geht er nicht bruchlos in die abstrakte «Anschauungsform» des Raumes ein, die der Betrachter als Vorbedingung jeglicher Erfahrung der Realität mit sich bringt. Der Innenraum sperrt sich mit allen Wänden gegen die abstrahierende, orientierende, beziehende Vereinnahmung: als Nichtraum wird er erschreckend konkret.

Das gilt sowohl für den Blick von außen durch die Glaswand wie für die Betrachtung von innen. Es gibt keine Perspektive, keine Ansicht, unter der sich das, was in diesem Raum zusammentrifft, als optische Korrespondenz vereinnahmen ließe. Die Erfahrung der auseinander treibenden Bestandteile unterläuft jedes «Bild», das man sich – von welcher Stelle aus – auch immer machen möchte. Das gilt auch für die Wirkung des zwischen den Brettern einfallenden Lichts, das hier ebenfalls kein «Bild» erzeugt, sondern das Außen als visuell markantes Gegenelement zu den versperrenden Brettern hereinholt.

Den Begrenzungen wird ihr Zusammenwirken zu einem einfachen, glatten, einsichtigen Raum entzogen. Nicht sich in die Erwartungen zu fügen, sich dem schnellen Fertigwerden mit dem, was man sieht, sich entgegenzustellen, nicht bloß etwas in den Blick zu stellen, sondern den Blick selber gegen seine Gewohnheiten spürbar zu machen: das stört. Doch nur die Störung des Gegebenen, die Öffnung seiner Wahrnehmung, kann zur «Freiheit» (des Raumes) führen.

Erich Franz