Sieben Sockel aus Blue-Stone
10.05.2004 – 08.08.2004
Ich glaube, die Kunst wird niemals geändert,
insofern unsere Gesellschaft nicht zu einer Kunst,
unsere Kunst nicht zu einer Gesellschaft transformiert wird.
Yuji Takeoka
SOCKEL FÜR WELT
Was geschieht, wenn ein Sockel Skulptur wird? Was bewirkt ein Sockel als Skulptur? Was ändert sich, wenn das Moment der Präsentation, der Sockel, das der Anschauung, eine Skulptur, wird?
Yuji Takeoka, 1946 in Kyoto, Japan, geboren und seit 1973 in Deutschland lebend und international ausstellend, stellt obige Fragen immer wieder durch seine Werke. Dabei setzt er stets auf das visuelle Erfahren des Sinnlichen seiner Kunst als notwendige Bedingung für ihr Verstehen, ohne die nichts geht. Und dies, obschon ein offensichtlich Konzeptuelles seinen Werken eingeschrieben ist, das die Bedeutung des Sinnlichen eigentlich schwächt.
Der bikulturelle Takeoka versöhnt gleichsam das Konzeptuelle mit dem Sinnlichen. Denn wie anders als anschaulich fragend kann man Werken begegnen, die formal wie «Medien» aussehen – eben wie Sockel, die einer Skulptur zu evidenter Präsenz verhelfen können –, die aber in einer nur «Werken» typischen Konsequenz alle aus dem gleichen Material, aus belgischem Granit, gearbeitet sind, denen fein differenziert je eine andere Oberfläche eignet, die sämtlich zwar gleich hoch, und somit in gewisser Weise isokephal bemessen sind (105 Zentimeter), und die auf Grund ihrer Volumina unzweideutig eine eigenständige Präsenz beanspruchen?
Sieben Sockel aus Blue-Stone nennt Takeoka seine sieben Skulpturen – unweigerlich sind die sieben Weltwunder und der siebenarmige Leuchter mitzudenken, unweigerlich mithin wird auf Bedeutung abgehoben, eben: was geschieht, was wird bewirkt, was ändert sich? Sie stehen dort, in einem Raum, der vor allem ein Schaufenster ist. Nur sie gebieten, geschaut zu werden. Doch lässt man sich auf dieses Sehen ein, so wird beispielsweise auch der Raum präsentiert, da das Nichtvorhandensein von faktisch Präsentiertem auf den Sockeln umschlägt in ein Auch-Wahrnehmen des gegeben Vorhandenem wie auch von materiell nicht mehr Vorhandenem – von Raum, von Umraum, von Zwischenraum, von Umgebung, von auch noch Gegebenem, von Umfeld, von Umwelt, … von Welt.
Faktisch wird der Boden gleichsam zum Sockel der Sockel als Skulpturen, darüber hinaus geschaut wird das ganze Um zum Präsentierten. Daraus folgt: nicht mehr das materiell Gegebene steht allein im Mittelgrund des Wahrzunehmenden, sondern auch dasjenige, das darüber hinaus wie selbstverständlich ist, das aber kaum als Wahrzunehmendes in den Blick und ins Bewusstsein tritt.
Die Sieben Sockel Takeokas erwirken also zum einen, indem man sie selbst schaut, dass sie wie autonome Skulpturen betrachtet werden. Formen treten so vor Augen – Volumina, Körper, Gestalten, Architekturen… Als konkrete oder minimalistische Werke scheinen sie folglich auf. Zugleich aber steht ihr jeweiliges Sein (und dies vor allem aufgrund ihres Auftretens als siebenteilige Gruppe) immer unter dem Horizont ihrer Wiedererkennbarkeit als Sockel, was ein Suchen und Sehen des über sie hinaus Präsenten, eben eines Präsentierten evoziert.
Mit Blick in die Geschichte der Kunst des 20.Jahrhunderts wäre zu formulieren, dass diese Werke zwischen Gegenständen und Dingen, wie wir sie als ready-mades kennen oder aus der Pop-Art, auf der einen Seite und konkreten Formen und Volumina auf der anderen, eben mit Anspielungen an die Konkrete Kunst Europas und ihrer us-amerikanischen Folgeerscheinung, der Minimal-Art, oszillieren. Postmodern könnte dem der Aspekt der Ironie eingeschrieben werden. Doch Takeokas Skulpturen verweigern sich profund einer Interpretation als Ironisierung. Dafür sind sie zu authentisch, zu sensitiv, zu klar, zu ernsthaft, zu präsent als das, was sie sind. Sie suchen vielmehr die nur ihnen eigene Visuelle Präsenz und zugleich eine Einflussnahme auf ihre Umwelt. Die Skulpturen Takeokas stellen also ihre nur ihnen eigene Geformtheit als Eigenwert vor – und dies unabhängig von ihren oberflächlichen Bezogenheiten zu Sockeln, auch wenn davon nie gänzlich zu abstrahieren ist.
Hierin liegt das Geheimnis der Werke Takeokas, ein gleichsam extrovertiertes – sie suchen das ästhetisch (wahrnehmbar) Wirkende im zumeist ästhetisch Übersehenen. Wenn Sockel zu Skulpturen werden geschieht es also, dass das gesamte Um zum Wahrzunehmenden aufscheint. Sockel als Skulpturen ändern mithin das Sehen des Gegebenen, denn das Fehlende wird gesucht. Und vor allem: Sockel als Skulpturen bewirken, dass Welt präsentiert wird.
Raimund Stecker