TiefenZeit

TOM FECHT

05.05.2017 – 08.04.2018

Zu der Ausstellung ist ein Katalog mit Texten von Siegfried Zielinski, Irmgard Bernrieder und Emma Nielson sowie Bildern von Tom Fecht erschienen.

Austellungsansicht Museum DKM
Foto: Tom Fecht

In der Ausstellung TiefenZeit präsentierte das Museum DKM auf 300 m² (vier Ausstellungsräume) eine Auswahl aus den großformatigen Fotoserien von Tom Fecht (*1952).
Es wurden exemplarische Beispiele aus den Werkserien Eclipse, Electric Cinema, Incertitude und Gravitational Fields und thematisch verwandte Still-Leben bzw. Portraitstudien gezeigt. Fecht beschäftigt sich seit 2008 mit der Nachtfotografie, sein kreatives Potential schöpft er u.a. aus planetarischen und meteorologischen Naturphänomenen, darunter Eklipsen, Mondphasen und besonderen Schwerkrafteffekten im Wechselspiel der Gezeiten, oft unter extremen Licht- und Wetterbedingungen. Inspiration und Ausgangspunkt seiner Kunst zugleich ist sein Atelier im Finistère, an einem unberührten Küstenstreifen der französischen Atlantikküste.

Seine Arbeiten legen Phänomene offen, die unsichtbar hinter den Oberflächen von Himmel und Meer wirken und diese auf unwiederholbare Weise magisch gestalten. Minimale Wellenbewegungen und Blitze werden in ihren unerschöpflichen Mustern und fraktalen Brechungen sichtbar. Zugleich erlauben sie, sich emotional von einer kaum mehr erfassbaren Weite ergreifen und überwältigen zu lassen.

Ihm gelingt es durch raffinierte, in jahrelangen Prozessen entwickelte Techniken, Naturereignisse aufzunehmen, die für das menschliche Auge kaum zu erfassen sind. Dadurch überschreiten Fechts Arbeiten nicht nur die ästhetischen und technischen Grenzen der Landschaftsfotografie, es kommt zur magischen Aufladung der Natur in der Tiefe der Zeit.

Fecht hat Kybernetik, Kunstgeschichte und Informatik in Deutschland und den USA studiert. Parallel zu seinem Studium gründete er Mitte der 1970er Jahre die Elefanten Press Galerie in Berlin gefolgt vom gleichnamigen Verlag. Sein eigenes künstlerisches Debüt begann mit der Teilnahme an Jan Hoets Documenta IX 1992, zu der er das bis zum Jahre 2000 laufende Projekt Mémoire nomade – Namen und Steine zur Erinnerung an die Opfer von AIDS in Zusammenarbeit mit der Deutschen AIDS-Stiftung initiierte. Vor dem Hintergrund seiner früheren Ingenieurstätigkeit wandte sich Fecht Ende der 1990er Jahre verstärkt der Fotografie zu. In seinen Arbeiten treffen Empathie, Poesie und ein ungebrochenes Interesse an physikalischen Phänomenen im Ausloten der technischen Grenzen von analoger, digitaler und wissenschaftlicher Fotografie aufeinander. Arbeiten des Künstlers befinden sich u.a. in der Sammlung der neuen Nationalgalerie Berlin und des MUCEM (Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers) in Marseille; alle Fotoarbeiten des Künstlers seit 2012 sind Unikate.

Eröffnungsrede zur Ausstellung TiefenZeit.

Die Ausstellung heißt Tiefenzeit, auf Englisch Deep Time, und es ist eigentlich ein Paradox, das ich jetzt praktiziere, nämlich in ganz kurzer Zeit über die Tiefen der Zeit zu sprechen. Das hat damit zu tun – man kann das wunderbar in diesem Haus erfahren – dass Zeit hartnäckig das ist, was wir nicht haben. Ich bin noch unter dem Eindruck der wunderbaren Führung, die ich gerade durch Ihr Museum bekommen habe. Um das gleich vorweg zu sagen – unmittelbar nach dieser Erfahrung wundert es mich nicht, dass Sie Tom Fechts künstlerische Arbeit beeindruckt hat.

Der Satz »Ich habe keine Zeit« ist genauso dumm wie der Satz »Ich habe Zeit«. Zeit ist das, was wir nicht besitzen können. Vielmehr hat die Zeit uns, sie benutzt uns wie alle anderen existierenden Objekte, um zu zeigen, wie sie vergeht, wie sie tickt, wie sie rumort und wie sie ihre ober- oder untergründige Arbeit verrichtet. Die Zeit verbraucht uns als lebendiges, ständig werdendes Material. Das sollte für uns eigentlich Anlass zur Bescheidenheit sein, vor allem in einer Welt, die extrem kurz getaktet ist, in der die bewusste Erfahrung von Gegenwart, von einer Zeit, die sich im Jetzt dehnt, im ästhetischen Genuss zum Beispiel, zur luxuriösen Erfahrung geworden ist.

Der Paläontologe und Biologe Stephen J. Gould – den ich über alles verehrt habe – prägte diesen Begriff der Tiefenzeit ganz stark mit; vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er hatte eine eindrucksvolle Art zu erklären, was Tiefenzeit bedeutet. Er benutzte dafür eine Parabel: Stellen Sie sich vor, das, was wir als Welt erfahren können, dieses Pluriversum um uns herum, entspricht dem Volumen unserer individuellen Körper. Sie strecken die rechte Hand aus, nehmen eine Nagelpfeile in die linke und streifen damit einmal am Nagel Ihres Mittelfingers entlang. Was da herunterbröselt, dieses Bisschen weißer Staub, entspricht in etwa unserer Bedeutung im Rahmen des gesamten Konzeptes von der Welt.

Tiefenzeit – Bescheidenheit, der Luxus, die Tiefe von Zeit sinnlich erfahren zu dürfen, zwingt uns in gewisser Weise in die Knie vor dem, was uns in seiner zeitlichen Ausdehnung bei weitem überläuft, und was wir deshalb nie wirklich begreifen können; selbst wenn wir lernen, dieses Es zu berechnen. Tiefenzeit ist in diesem Sinne – auch das spielt in den Arbeiten von Tom Fecht eine wichtige Rolle – etwas, was ich als Denkding bezeichnen möchte, als Stütze für unsere Vorstellung. Sie hilft uns zu erkennen, dass die Welt doch wesentlich mehr ist als wir selbst als Däumlinge in der Welt darzustellen in der Lage sind.

Die künstlerische Arbeit Tom Fechts macht aber auch sehr klar: Tiefenzeit ist ein ästhetisches Ding, eine zutiefst ästhetische Erfahrung. Tom Fechts Kunstwerke realisieren auf ganz besondere Weise, was meiner Ansicht nach die wichtigste Dimension von Kunst ist, nämlich für das Andere, für das, was wir hartnäckig nicht begreifen können, feinfühlig zu machen oder feinfühlig zu halten. Die Incertitudes zum Beispiel, die Sie gleich in der Ausstellung sehen werden, sind für mich der stärkste Ausdruck dieser Geste. Um noch einmal mit der Parabel Goulds zu spielen: der aus dem Kosmos herunterfallende Photonen-Staub der Sterne, die unendlich vielen Lichtpartikel, die sich auf dem Negativ der Fotografie in stundenlanger Arbeit eingeschrieben haben, kommen aus einer Zeit in der Vergangenheit, die wir bestenfalls in Aspekten berechnen und mit unserer Einbildungskraft vorstellen können. In ihrer wirklichen Tiefe tendiert die chronologische Zeit, die wir erfahren können immer über sich hinaus. Sie tendiert zur Unendlichkeit, zu einer Dauer, die unsere irdische Existenz bei weitem übersteigt, die wir folglich nicht erleben können. Die Alten Griechen haben dafür eine schöne Bezeichnung erfunden, nämlich Aion. Aion ist der jüngste der Abkömmlinge von Chronos, der bekanntlich nicht nur im Bild Francesco Goyas seine eigenen Kinder verschlungen hat, weil er Angst hatte, sie könnten ihn ablösen als Herrscher über die Lebenszeit, weil er Angst vor der Erfahrung einer gnadenlos vergehenden, irreversiblen Zeit hatte.

Der Künstler kann für diesen Zeitmodus Aion, den wir nicht unmittelbar erfahren können, weil er so viel größer ist als wir selbst, sensibilisieren, in dem er die tiefenzeitliche Dimension des artifiziellen Bildes im Experiment ausreizt. Ohne die technische Prothese – das ist das Paradoxe in diesen Arbeiten von Tom Fecht – ohne die Prothese der Technik, wird dasjenige, was eigentlich unsichtbar ist, nicht visuell erfahrbar. Die Fototechnik hilft uns in diesem Fall etwas zu sehen, etwas zu erkennen, was wir mit unserem natürlichen Sehvermögen nicht zu erkennen in der Lage sind.

TiefenZeit operiert wie ein Seismograf, ihre Aktivität findet in der Vertikale statt, deren magisches und zugleich gefährlich destruktives Potential Hitchcock zu seinem berühmtesten Film verführte, den Sie alle kennen, Vertigo, die sich im Haarwirbel der Protagonistin vergegenständlichende Verrücktheit. Tom Fechts Star Pointer, der möglicherweise heute Abend auch Ihr Star in der Ausstellung wird, die in Schwar-Weiß eingefrorene Pose einer Flamenco-Tänzerin, die Himmel und Erde im Mikrouniversum ihres gerade aufgerichteten Körpers verbindet, stellt diese Erfahrung der Vertikalität im plötzlichen Ereignis des Tanzes her. Das elegant gestreckte Rückgrat verbindet die linke Hand, die hinauf zu den Sternen deutet, mit der rechten Hand, mit der die Tänzerin hinter ihrem Rücken auf den Boden weist.

Es ist eine starke Intuition derjenigen, die die Ausstellung eingerichtet haben, dass dieses Bild – das Sie sofort im Fluchtpunkt sehen werden, wenn Sie sich auf die Räume zu bewegen, in denen die Bilder von Tom Fecht hängen – sozusagen im räumlichen Dialog mit zwei horizontal gestreckten, großformatigen Fotografien gegenüber stehen, die der gewaltigen Faszination der natürlichen Elektrizität des Blitzes gewidmet sind. Tom Fecht nennt sie Electric Cinema. In der Tat enthalten sie ein Drama. Denn der Körper-Gestus der Flamenco-Tänzerin, diese Verbindung der einen Hand zu den Sternen, zum Kosmischen, die Andere zum Boden, ist nichts anderes als die Verkörperung, eine Allegorie der gewaltigen Entladung des Blitzes. Der Körper der Tänzerin bildet eine Skulptur aus Energie, die sich in diesem Bild ausdrückt. In den beiden großformatigen Fotos des Electric Cinema können wir eine ähnliche Erfahrung machen, die uns regelrecht energetisch aufzuladen scheint. Im kurzen Augenblick des Blitzes – das ist sozusagen der größte Gegenentwurf zur Tiefenzeit, obwohl der Blitz aus der Tiefe der Zeit kommt – im Moment des Blitzes, werden der Mikrokosmos und der Makrokosmos, der Mikrokosmos unseres Planeten mit dem Makrokosmos des Pluriversums kurz geschlossen.

Es gibt einen minimalen Kontakt, der enorme Folgen haben kann, wie wir das alle alltäglich erfahren können. Der fruchtbar und zerstörerisch sein kann. Ein ungeheures, ein plötzliches Ereignis, das in den Bildern Tom Fechts zugleich das Wechselspiel von weiter Horizontale und vertikaler Tiefe herstellt. Denn dieser winzige Moment des Blitzes öffnet den Horizont für einen kurzen Wahrnehmungsmoment. Vertikale und Horizontale begegnen sich im Licht des Blitzes einander.

Im großen TIME Triptychon Tom Fechts ist der Horizont ganz an den oberen Rand der Bilder gerückt. Wie eine schmale Grenze für den mächtigen, unruhigen, fluiden Körper des Meeres, der sich unter dem Horizont ausbreitet, verdichtet. Das ist die irdische Zeit, die Zeit unseres Planeten, der ja vom Ozeanischen bestimmt ist. (Dazu gehört auch der Atlantik, den der Künstler mit Vorliebe fotografiert.) Mare externum, das ist jenes offene und zugleich zutiefst opake Weltmeer, das uns in diesem Triptychon wie ein schwarzer Spiegel entgegentritt. Natürlich sehen wir die Verdichtung dieses gewaltigen Organs des Meeres, aber zugleich wirkt es wie ein Spiegel, gegenüber dem wir unser unendliches Spiel von Erkennen, Verblendung und Verkennung betreiben können.

Das sind mächtige, bedeutungsgeladene Bilder und es ist eine glückliche Fügung, dass die Kuratoren sich entschieden haben am Anfang der Ausstellung ein gänzlich anderes Bild zu zeigen. Ich meine die Brille von Le Corbusier. In einer ganz besonderen Variante steht sie in meiner Wahrnehmung in starkem Kontrast zu den darauf folgenden Bildern. Obgleich natürlich auch diese Fotografie mit den anderen eng verbunden ist. Ein Miniatur-Schauspiel, wenn wir es kontrastieren mit dem, was zum Beispiel die Meeresbilder des Zeit-Triptychons uns zu zeigen vermögen. Die Brille des berühmten Bauhaus-Architekten auf weißem Grund, auf einer Schreibtischoberfläche oder ähnlichem gegen das Licht abgelegt, wirft einen filigranen Schatten – und dieser Schatten formt die Figur der Unendlichkeit. Ein wunderschönes, geglücktes Finden, das für die Arbeit von Tom Fecht so typisch ist. Nicht die vergebliche Suche zeichnet sein künstlerisches Werk aus, sondern das geglückte Finden. Wozu natürlich unglaublich viel Geduld gehört und die Porosität einer Wahrnehmung gegenüber dem Anderen, die ihm eigen ist. Wenn ich das in meine Sprache und in meine Wahrnehmung übersetze: Der Schatten von Le Corbusiers Brille schreibt die Unendlichkeit in einer Form, die auf eine andere Figur verweist, die denjenigen von Ihnen vertraut sein wird, die sich mit der Alchemie beschäftigen. Ich meine die Figur des Ouroborus, die doppelte Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt, die sich selber aufisst, um dadurch wieder neues Leben zu erzeugen. Das ist die große Anregung für die Mathematiker des 17. Jahrhunderts gewesen, die zu dem Symbol für Unendlichkeit geführt hat, wie es uns heute bekannt ist. Der sich in eine unendliche Bewegung hinein verkoppelnde Doppelkreis.

Das ist ein schöner, stiller Hinweis, der für mich eine kleine Sensation in der Ausstellung ist. Denn er bedeutet den Verweis auf eine Praxis, nämlich die Alchemie, die Tom Fecht mit seiner ganzen Arbeit nicht nur immer wieder verfolgt hat, sondern im wahrsten Sinn des Wortes inkorporiert. So wie er in seinem Labor in der Bretagne experimentell forscht und Bilder erzeugt, kann er mit Fug und Recht als neuzeitlicher Alchemist der Fotografie bezeichnet werden.

Deep Time – ich möchte mit diesem Gedanken, der vollkommen unvorbereitet ist, weil er heute Abend erst entstehen konnte, schließen – TiefenZeit ist ein Begriff, der nicht nur die Ausstellung Tom Fechts treffend beschreibt, sondern auch für dieses Museum hervorragend stehen kann; das entspricht zumindest meiner Wahrnehmung dessen, was ich gesehen habe. Wir können in diesem Haus einen schier ungeheuren Reichtum vergegenständlichter Zeit aus vielen, vielen Jahrhunderten sehen und – was noch fantastischer ist – wenn wir ganz tief in die Zeit einsteigen, dann dehnt sich auch der Horizont der Ereignisse. Das bedeutet, wir bleiben nicht in einer einzigen Kultur, nämlich der unsrigen, sondern durch das Tauchen in die Tiefenzeit erweitert sich unsere kulturelle Erfahrung und wird reicher. Es ist wunderschön, chinesische, koreanische, japanische oder iranische Traditionen neben eigenwilligen deutschen Avantgardekünstlern zu sehen, alle möglichen Kulturen, Denkarten und Spielarten von Kunst miteinander im Dialog zu sehen und zu spüren. Glückwunsch zu dieser gelungenen Aleatorik der Begegnungen, zu diesem wunderbaren Haus, aber heute Abend aber vor allem Glückwunsch an Tom Fecht und die fantastische Ausstellung seiner Kunst. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen und ein wenig tiefenzeitliche Erfahrung.

Siegfried Zielinski

Kraftfelder des Sternenstaubs

Fin de la terre – am Ende der Welt, wo der dunkel blinkende Kosmos direkt auf den schwarzen Schaum der atlantischen Tiefsee herabstürzt, hat Tom Fecht seinen Ort gefunden. Ganz im Geiste von Jean Pauls Weltflüchtling Giannozzo, der wie ein Paradiesvogel mit Wettern und Wolken sich bewegt, ankert der Künstler Fecht in der Luft planetarischer und meteorologischer Naturphänomene.

Seit 2008 widmet er sich der Nachtfotografie in ihren technologisch avanciertesten Formen und filtert aus der geduldigen Langzeit- Beobachtung von Lichterscheinungen wie Sonnenfinsternissen und Mondphasen, Sternen- und Meeresbewegungen einzigartig poetische Essenz. Vor den wandfüllenden Tafeln seiner Werkserien Eclipse, Electric Cinema und Gravity Fields mutiert der Betrachter zum herzklopfenden, staunenden Etwas.

Seine Kompositionen aus Zeit und Licht fordern auch zu Vergleichen mit bedeutenden Positionen der Kunstgeschichte heraus. Mit Hieronymus Bosch etwa, der auf seinem dreiflügeligen Altarbild Der Garten der Lüste dem mittelalterlichen Betrachter dessen Zukunft im himmlischen Garten Eden oder in der Hölle vor Augen stellt. Indem Bosch das Universum als gläserne Kugel erfindet – über dem Erdenrund wölbt der Kosmos sich, unter der Scheibe nur Dunkelheit – maßt sich der alchemistisch geprägte Maler den Blick des Schöpfers an, der nach christlichem Verständnis Licht von Finsternis trennt, um aus diesem Kosmos Land und Meer zu schöpfen.

Auch im Jahr 2017 steht ein Künstler vor jenem großen Geheimnis menschlicher Existenz und möchte es in seinen Bildern fassen. Die Verneigung vor der erhabenen Natur, die Caspar David Friedrich so unvergleichlich gestaltete, der romantische Blick auf Naturgewalten und -Schönheit nimmt noch den Menschen als Fleisch, das zurück zu den Sternen strebt ins Bild, während Tom Fecht uns Bilder von der Zukunft dieser Erde einfängt, in der das Werden und Vergehen der Materie den Takt angeben wird, ohne eine menschliche Spur. Die Auseinandersetzung mit Licht- und Naturphänomenen prägt auch das Werk von William Turner und Alfred Sisley, doch im Unterschied zu Tom Fecht entzückt sich deren Kunst noch in Bewunderung einer Natur, die sie in christlicher Tradition Gott zuschrieben.

Tom Fecht ist kein Photograph, er zählt zu den Alchemisten. Sucht er doch einerseits, den magischen, einzig gültigen Augenblick eines Blitzeinschlags aufzunehmen, und geht dafür auch auf Reisen nach Irland etwa oder Süditalien. Andererseits fängt er mit seinen ausgefeilten optischen Apparaten evolutionäre Prozesse ein, die Menschenzeit bei weitem überschreiten. Er nimmt die Herausforderung an, die übermächtige Fragilität menschlichen Daseins zu verdeutlichen, indem er dem großen Ganzen Gestalt zu geben trachtet. Er weiß um sein Scheitern, das er mit anderen großen Geistern teilt, unter denen etwa Ludwig Hohl wissen will: „Hat je einer zuerst das Ganze gesehen, und dann erst das Einzelne? Ich meine von einem Ganzen, das wirklich etwas ist?“ Fecht scheitert grandios, seine anrührenden Licht-Gemälde legen Zeugnis einer sterngreifenden Leidenschaft ab. Sei es das Restlicht einer Sonnenfinsternis auf den Wellenspitzen des Meeres in der Serie Eclipse oder in dem Konvulut Electric Cinema die Landschaft als Kulisse für den Auftritt von ungeheuer schönen Blitzen, Sekundenskulpturen aus Elektrizität. Und wie entrückt aus einer anderen Dimension spiegelt der Mond das Licht der abwesenden Sonne. Nicht mehr, nicht weniger.

Der Wechsel von Ebbe und Flut, die unaufhörliche Bewegung des An- und Abschwellens der Wassermassen und der kleinsten Wellen erscheinen als chaotisches Lichtergewimmel auf den Großphotographien des Diptychons Gravitational Pull. Vor diesen Fecht-Werken sind die „Vorbilder“ aus dem Labor von Otto Steinert und seines Schülers Detlev Orlopp nicht auszublenden. Die verdichteten Wasseroberflächen Orlopps ähneln auf bestürzende Weise seinen Felsbildern, und hier berührt sich dieses historische photographische Werk mit den zeitgenössischen Arbeiten von Tom Fecht: Elegien auf den Menschen als Sternenstaub.

Hiroshi Sugimoto richtet in seiner Meeres-Photographie das Augenmerk ganz auf die Horizontlinie, die Himmel und Wasser trennt oder verbindet oder zur Öffnung werden könnte in die Zonen des großen Geheimnisses dahinter. Tom Fechts Standpunkt inmitten der Wassermassen legt nahe, dass er sich selbst als Teil der umgebenden Natur begreift.

Irmgard Bernrieder