Der stille Raum

ULRICH ERBEN

04.03.2005 – 22.05.2005

Ulrich Erben, Ausstellungsansicht Museum DKM
Foto: Werner J. Hannappel

Der stille Raum

Ulrich Erben begibt sich weit fort von dem künstlerischen Feld, auf dem man ihn erwartet. Jeder kennt seine Tafelbilder in großfeldrigen Farbflächen, von «Weißen Bildern» bis zu starken Farbklängen.

Hier treffen wir ein Werk an, das aus dem Œuvre herauszubrechen scheint. Wir blicken von außen in eine schockierend leere Halle, der Blick geht hindurch und ins Freie, ohne auf irgendeinen Gegenstand getroffen zu sein, dem wir die Signatur des Künstlers zutrauen könnten. Unsaubere Wände und Pfeiler – alles wirkt provisorisch so, als müsse die erwartete Bilderausstellung erst noch eingerichtet werden, als sei der Besucher zu früh erschienen oder zu spät – bis sich die Irritation als inszeniert erweist und der Betrachter reflektiert, dass der Künstler nicht Bilder, sondern einen Raum geschaffen hat.

Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass dieses Werk trotz allem keinen Bruch mit dem bisher Geschaffenen, sondern eine prägnante Pointe bestehender Entwicklungen darstellt.

Zwei Arbeiten sind auszumachen, die sich im Nachhinein als konkrete Vorstufen zu Der stille Raum erweisen. In Raum ohne Fenster ohne Tür im Studio A Otterndorf 1999/2000 waren die Wände lückenlos bedeckt mit je einfarbig bemalten Blättern, die einen Bezug zu den vertrauten Malereien Ulrich Erbens erkennen ließen. Allerdings bildeten die Blätter keine isolierten Einzelwerke, sondern mosaikartige Teile des durch die vier Wände gebildeten Gesamtwerks und verwiesen damit auf die Bedeutung der Raumsituation.

Ebenfalls zum Millennium bearbeitete Ulrich Erben den Ausstellungsraum des Westfälischen Kunstvereins in Münster. In Der andere Raum hingen keine Bilder, sondern die Wände selbst waren bemalt, und zwar in einer Weise, die die architektonische Gliederung in farblichen Rhythmus umsetzte. Sie zeigten ein streng geometrisches, serielles Muster aus weißen und schwarzblauen Flächen, und zwar dergestalt, dass einander gegenüber liegende Wandteile wie in einem wechselseitigen Spiegel identische Formen aufwiesen.

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Erforschen wir nun den Stillen Raum. Der Betrachter erfährt ihn von außen, ein Zutritt ist nicht vorgesehen. Der Eingang erweist sich als geschlossen wie die Scheintür in einem ägyptischen Grabmal, allein der Blick hat freien Zugang durch die Glastür, nur um festzustellen, dass der größte Teil des Raumes von hier aus nicht einsehbar ist. So sieht sich der Betrachter stumm aufgefordert, das Gebäude von anderer Seite aus zu untersuchen.

Dort wird die Front von vier großen Schaufenstern beherrscht. Beim Blick nach drinnen bleibt der Betrachter außen vor und, wie er bald erfährt, in doppelter Weise.

Die Suche nach Bildern, die die vertraute Malschrift von Ulrich Erben tragen könnten, wird enttäuscht. Säulen, die die Fenster voneinander trennen, dahinter eine zweite Pfeilerreihe, weit hinten eine weitere Doppelreihe, zwischen denen der Blick ins Freie der Hafenlandschaft geht.

Den Boden der luftigen, seltsam großen Halle bildet nackter Estrich, die Pfeiler und die wenigen freien Wandflächen sind grob gefleckt, wirken wie im Rohzustand eines Neubaus.

Fern auf der gegenüberliegenden Seite, jenseits der dortigen Schaufenster, bemerkt der Betrachter einen weiteren Besucher. Verblüfft stellt er fest, dass es sich um sein eigenes Spiegelbild handelt. Zunächst brüsk ausgeschlossen, erfährt er nun sich selbst über sein Spiegelbild als den Code, der die Raumsituation insgesamt erschließt:

Ulrich Erben hat in die Wandflächen, die den vier Schaufenstern gegenüber liegen, vier riesige Spiegel eingesetzt, dazu einen weiteren Spiegel rechtwinklig dazu. Die Korrespondenz der Wandflächen, hergestellt erst in Raum ohne Fenster ohne Tür durch aufgebrachte bemalte Papierbögen, dann in Der andere Raum durch Bemalung der Wandflächen selbst, wird hier in Der stille Raum offenbar ohne Bezug auf Malerei vollzogen.

Diese Stille ist die Stille der scheinbar abwesenden Malerei. Doch wie Stille nicht völlige Lautlosigkeit bedeutet, so sind auch die Mittel der Malerei sublim präsent. Denn die grobe Textur auf Wänden und Säulen ist kalkuliert aufgebracht. Es handelt sich um verdünnte Tinte, mit der Ulrich Erben die Flächen – man muss es so sagen – beschmutzt statt bemalt hat. Damit stellt er für die architektonischen Rahmenbedingungen einen Zustand des Unfertigen, des Rohen her, in pointiertem Gegensatz zur Perfektion der Spiegelflächen, die niemand in einem Rohbau erwartet.

Die Spiegel verdoppeln die Erscheinung des Realraums. Durch seine Unzugänglichkeit wird auch der Realraum zur rein visuellen Erscheinung und in seiner Qualität dem Spiegelbild angeglichen. Es eröffnet sich ein intellektuelles Spiel mit Wirklichkeitsebenen, vollzieht sich anschauliches Denken zwischen Sehen, Vorstellen und Wissen, mit Ambivalenzen, die die naive Vorstellung eines eindeutigen Realitätsbegriffs in Frage stellen.

Schein und Wirklichkeit verbinden sich zu einer dritten, namenlosen Kategorie.

Max J. Kobbert
18. Februar 2005

Publiziert: Faltblatt zur Ausst. Ulrich Erben, Der stille Raum, Galerie DKM 04.03.2005–22.05.2005, Duisburg 2005, S. 2f.