Die Schönheit der Antike kennt kein Alter, keine Zeit.
04.03.2011 – 30.09.2011
Die Ausstellung ist Bestandteil der ständigen Präsentation des Museum DKM.
Die Schönheit der Antike kennt kein Alter, keine Zeit.
Fotografien, Zeichnungen, griechische Schalen und drei kleine, römische Statuenfragmente – die Exponate dieses Raumes ergeben zusammen eine Hommage an die sinnliche Schönheit des – zumeist männlichen – Körpers und an die Antike. Die ideale Darstellung der menschlichen Figur, angepasst an individuelle Abweichungen, wurde bekanntlich im Doryphoros oder «Speerträger» von Polykleitos (um 440 v.u.Z.) realisiert. Das Werk wurde auch «Kanon» genannt. Die perfekte Darstellung der Menschen in der Antike hat seither einen tiefen Einfluss darauf gehabt, wie Künstler den menschlichen Körper betrachten, was auch in den hier ausgestellten Fotografien und Zeichnungen des 20. Jahrhunderts zu sehen ist. Es ist interessant zu beobachten, wie Fotografen mit Hilfe von Licht, Perspektive und Komposition den menschlichen Körper inszenieren, sei es lebende Subjekte oder in Marmor gemeißelt. Solange Homosexualität strafrechtlich verfolgt wurde, also bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, blieb dem homoerotischen Blick nur ein Ausweg: wenn er sich auf antike Aktfiguren richtete wie bei Helbig oder List oder wenn Aktmodelle durch Haltung, Gestik oder Requisiten auf Vorbilder der Renaissance oder der Antike anspielten wie bei von Gloeden und Plüschow. Malern und Bildhauern wie Richard Scheibe waren Aktdarstellungen ohnehin zugestanden.
Folgen wir nun den hier ausgestellten Werken und beginnen am rechten Ende der Rückwand und wenden uns nach links. Klaus Kinold (*1939) hebt in seiner 1985 aufgenommenen Fotografie des Kopfes einer jungen Frau, Fragment einer antiken Statue (Glyptothek, München), sein Sujet durch die starke Beleuchtung des Hintergrundes dunkel hervor. Konrad Helbig (1917–1986) gibt in seiner undatierten Fotografie eine Büste des Antinoos (Uffizien, Florenz) wieder, des Lieblings von Kaiser Hadrian, wobei er dem Gesicht durch eine betonte Frontalität und durch Schlagschatten, die durch starkes Seitenlicht bedingt sind, eine heroische Härte gibt. Herbert List (1903–1975) zeigt in seiner Fotografie von 1939 den Kopf eines Jünglings mitsamt den darüber zusammengelegten Händen (Nationalmuseum, Athen). Die Hände lassen die ausgreifende Bewegung der Arme erahnen, wie sie im Hellenismus geläufig war, dem auch die realitätsnahe Modellierung des Gesichts entspricht. Die dem Fragment eigene Bewegung wird durch die Anordnung von Kopf und Händen auf der Diagonalen von links unten nach rechts oben betont. Die nächste Fotografie stammt auch von Herbert List, der 1946 Gipsabgüsse in der zerstörten Münchner Akademie festgehalten hat. In der Ruine sehen wir vornüber gestürzte Statuen zweier nackter, muskulöser Männer sowie die Statue eines entspannt sitzenden Knaben mit abgewandtem Gesicht, als ob er zur Türöffnung in der dunklen Mauer hinausschaute. Ralph Gibson (*1939) fokussiert 1979 den Rumpf einer klassischen, männlichen Statue, und Herbert List fixiert den eigentlich von der Seite ansichtigen Flussgott Kladeos von der Nordecke des Ostgiebels des Zeustempels in Olympia aus einer extremen Ansicht von vorne, nämlich vom Kopf her.
Konrad Helbig stellt in einer undatierten Aufnahme einen Kuros aus der Mitte des 6. Jahrhunderts v.u.Z. in scharfem Seitenlicht dar. Daniel Kane (*1954) fotografiert – Pergamon I (1997) – die Statue eines schönen Jünglings im ponderierten Stand mit rechtem Standbein und linkem Spielbein, der sich zudem mit dem linken Arm auf etwas stützt, wodurch die Schulter empor geschoben wird. Die Beleuchtung bewirkt geradezu eine Verwandlung des Marmors in „Fleisch und Blut“. Die nächsten drei Fotografien vermitteln ein Bild der «Inneren Emigration» Vieler während der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und noch darüber hinaus. Wilhelm von Gloeden (1856–1931) hält in seiner Fotografie von 1914 einen nackten Jüngling fest, der vor sizilianischer Bergkulisse auf einem Felsen sitzt. Mit abgewandtem Gesicht ist er so im Bild platziert, dass die mittlere Waagerechte und Senkrechte des Bildfeldes akzentuiert werden. Ein uns unbekannter Fotograf hat 1935 den Rücken eines jungen Mannes in Badehose im Bild eingefangen. Eigentlich sitzt der Junge in Seitenansicht, hat aber den Oberkörper so weit umgedreht, dass der Rücken nahezu ganz sichtbar ist und überdies auch das Spiel der Muskeln unter der Haut. Ein weiterer Unbekannter hat 1940 in Solitaire – einsam – einen gebräunten, jungen Mann nackt in einer Hochgebirgslandschaft schräg von hinten links aufgenommen. Die Einsamkeit dürfte erträglich gewesen sein, da zumindest auch der Fotograf anwesend war.
Richard Scheibe (1879–1964) stellt in seiner Zeichnung mit weinrotem Buntstift von 1927 einen nahezu frontal stehenden, nackten Mann dar, der seinen Oberkörper so zur Seite dreht, dass rechte Schulter und Oberarm ganz vorne sind. Der Unterarm ist nach hinten abgewinkelt. Die linke Hand wird hinter dem Oberkörper angedeutet. Den leicht geneigten Kopf dreht er gegen die Bewegung des Oberkörpers nach vorne. Die kontrastierenden Bewegungen machen die Spannung in der Figur aus. Den vom Knie aufwärts sichtbaren, nackten Krieger hat Richard Scheibe 1922 in einem mittleren Braunton aquarelliert. Während die Beine fast frontal ausgerichtet sind, ist der Rumpf zur Seite gedreht, so dass der ausgestreckte rechte Arm ganz vorne im Bild ist. In der Hand hält er einen Speer, dessen Ende das linke Knie tangiert. Der linke Arm mit einem Schild schwingt nach hinten. Herbert List hält in der Fotografie Am Morgen (Athen, 1936) den Blick aus einem dunklen Raum durch eine rundbogige Tür in einer dicken Mauer auf einen Balkon mit Eisengeländer fest. Vor der Tür hängt ein Tüllvorhang, der üppig mit Blattornamenten und einem Medaillon mit zwei Schwänen und Seerosen geschmückt ist und im Gegenlicht schwarz erscheint. Im Vorhang zeichnet sich die zartgliedrige Gestalt eines Knaben in Unterhose ab, der auf dem Balkon steht. Die Fotografie Wilhelm Plüschows (1852–1930) Jüngling auf den Stufen einer Treppe (1900) zeigt ihn, wie er, nur mit einem um die Hüften geschlungenen Tuch bekleidet, auf der oberen Stufe einer Treppe sitzt, die zu einer Plattform oder einem Platz herauf führt, auf der ein barock geschwungener Brunnen steht. Der Knabe streckt das eine Bein über zwei Stufen aus und hat das andere angezogen. Sein gesenkter Kopf ist exakt auf der Mittelsenkrechten des Bildes platziert. Er spreizt beide Arme von sich, so dass sein Oberkörper von einer klassischen Dreieckskomposition umfangen ist. Wilhelm Plüschow war ein Cousin Wilhelm von Gloedens, dessen undatierte Fotografie Taormina, zwei Knaben und ein Mädchen den Blick auf eine senkrechte Felswand lenkt, durch die eine gewaltige Höhle gebrochen ist. Vor ihr lässt der Fotograf ein Mädchen in durchsichtigem Kleid, einen nackten, kleinen Jungen und einen Jüngling in Fantasie-Kostüm posieren, aufgenommen aus größerer Entfernung, so dass die Figuren, eingebunden in den Bereich der Höhle, klein im Bild erscheinen. Wilhelm von Gloeden hält in seiner Fotografie von ca. 1900 die Reste des «Ginnasio romano»“ in Syrakus fest, gesehen von einem hohen Punkt des nicht ganz erhaltenen Theatrons, der Sitzreihen, rechts vom Halboval der Orchestra, des Proszeniums und der ganz abgetragenen Skene. Der Blick schweift weiter über das Ausgrabungsgelände und verliert sich an einem teils bewachsenen, teils bebauten Hügelrücken. Die Aufmerksamkeit von Gloedens ist aber offenbar dadurch angezogen worden, dass die Orchestra unter Wasser gesetzt ist. Am Rand des Proszeniums steht ein weiß gekleideter Mann mit bloßen Beinen im flachen Wasser und spiegelt sich in dessen unbewegter Oberfläche.
Ein uns unbekannter Fotograf hat 1945 einen Wohnraum in Hitlers zerstörtem Berghof bei Berchtesgaden mit einem riesigen Panoramafenster mit Blick auf den Watzmann aufgenommen. Vorne führen drei Stufen von links in den Raum hinab. In der leeren Fensterlaibung steht ein amerikanischer GI in Seitenansicht und weist mit ausgestrecktem, rechten Arm und Hand auf den Berg. Die Pose wäre bei einer antiken Statue durchaus denkbar. Auch die Monumentalität des Raumes basiert auf Vorstellungen mit Anleihen in der Antike. Das gilt auch für die nächsten beiden Fotografien aus der Zeit um 1937 von Max Baur (1898–1988): Ein Blick durch die Kolonnade des «Hauses der Kunst» in München, das Paul Ludwig Troost 1934–1937 errichtet hat, und ein Blick auf eine Treppe in der Reichskanzlei in Berlin. Otto Steinert (1915–1978) hat Auguste Rodins Eva um 1960 im Essener Museum Folkwang aufgenommen vor einem großen, dreiteiligen Fenster mit den horizontalen Lamellen einer Sonnenblende. Die weibliche Figur ist von der Seite ansichtig und erscheint im Gegenlicht dunkel – genauso wie der antike Frauenkopf auf der nächsten Fotografie an der angrenzenden Rückwand.
Die erste Vitrine enthält drei rotfigurige Trinkschalen attischer Provenienz aus dem Griechenland der Zeit zwischen 510 und 440 v.u.Z. Die flache Trinkschale mit zwei Henkeln auf einem mehr oder minder hohen Fuß wird Kylix genannt. Beim rotfigurigen Stil wird das Gefäß schwarz gemalt mit Ausnahme der Figuren und Gegenstände, die ausgespart werden. In ihren Kontur wird die Binnenzeichnung mit schwarzen Linien eingezeichnet. Nach dem Brand weisen Figuren und Gegenstände den roten Farbton des Scherbens auf. Die älteste Schale zeigt im Innenbild einen nach rechts rennenden Jüngling, der seinen Kopf zurückwendet. In der rechten Hand hält er eine Lanze; seine Chlamys (Gewand) ist über den ausgestreckten linken Arm geworfen. Im breiten, schwarzen Ring um das Medaillon finden sich drei Buchstaben, die dem Kundigen sagen: „Der Knabe ist schön.“ Die Schale wird um 510 v.u.Z. datiert. Die zweite Schale wird dem Onesimos («der Nützliche») aus Athen zugeschrieben und um 490 v.u.Z. datiert. Das Innenbild mit Palästraszene stellt einen Jüngling mit erhobenem linken und angewinkeltem rechten Arm in der Körperachse gedreht dar. Hinter ihm steht eine mit Fell bedeckte Bank. An der Wand hängen hinter ihm zwei Sprunggewichte und vor ihm ein Gefäß mit dem Öl für den Athleten sowie ein Ölschaber. Auf der Außenseite ist eine Dokimasie dargestellt, eine Eignungsprüfung mit dem Pferd, wobei ein Jüngling das Pferd bringt, während es auf der Gegenseite vor einer dorischen Säule steht. Die dritte Kylix wird um 450 bis 440 v.u.Z. datiert. Das Innenbild zeigt einen jungen Reiter mit wehendem Haar auf einem galoppierenden Pferd. In seiner rechten Hand hält er die Zügel, mit der Peitsche in der linken treibt er sein Pferd mit flatternder Mähne an. Die Vorderhufe reichen bis in den Mäanderfries, der das Medaillon rahmt.
Die zweite Vitrine birgt drei kleine Fragmente von Marmorstatuen: vier Finger einer Hand und die Zehen eines Fußes aus Großgriechenland, 4. Jh. v.u.Z., und den arg beschädigten, korrodierten Rumpf einer männlichen Figur aus der Region um Neapel von ca. 200 v.u.Z. Alle drei Fragmente bergen Schönheit in sich. Zugleich erzählen sie von ihnen zugefügter Gewalt und stimulieren die Vorstellung des Betrachters zur Ergänzung der ursprünglichen Figur.
Gert Kreytenberg