Ausgewählte Werke

MODERNE KUNST: SKULPTUR

Ernst Hermanns, WV 107 II

ERNST HERMANNS, WV 107 II, 1966
Foto: © SDKM

ERNST HERMANNS
WV 107 II, 1966
Rundscheiben mit 3 runden und 4 flachen Reifen, Eisen
120 x 62 cm (ØB)


Zwei stehende Scheiben – eine links, eine rechts und zwischen ihnen, jeweilig im Wechsel und mit Abständen zueinander montiert, vier Reifen aus flachem und drei aus rundem Eisen – war dies einmal eine geschlossene flache Tonne, die zur jetzigen Form auseinandergezogen wurde? Oder warten die neun Elemente darauf, miteinander verbunden, beispielsweise zu einer flachen Tonne verschweißt zu werden? Oder sind es neun simple Elemente, die auch einzeln betrachtet werden können, jedoch in ihrer so vom Künstler fixierten Ordnung eine unwiderrufliche Einheit bilden: eben 4 Flachreifen, 3 Rundreifen, 2 Scheiben – 1 Skulptur, 0 weitere Absicht?

Seit ihrer theoretischen Fundierung vor nahezu 80 Jahren und der daraus folgenden Etablierung gibt es sie als gleichsam zeitloses Phänomen: die Konkrete Kunst. Ihre Werke wollen nichts weiter sein, als das, was sie sind. Der Betrachter soll ihre Formen und Materialien, die gesetzten Anordnungen zueinander und Konstellationen “nur“ als das begreifen, was sie sind. Gegen Symbolüberfrachtung und Inhaltsdudelei, gegen ikonografische Omnipräsenz und narrative, immer auf Themen außerhalb des Werkes selbst verweisende Verhalte wollte opponiert werden. Die Schaffung purer Formen sollte die Kunst auf ihre Füße stellen – das Schauen dieser puren Formen für den Betrachter bewirken, dass er sehend und über das Gesehene reflektierend am Werke bleibt.

Ernst Hermanns Skulptur mit dem spröden Titel ihrer Werkverzeichnisnummer „WV 107 II“ ist nur unter diesem Horizont zu betrachten. Sehend soll erkannt werden, was sie dem Betrachter zu erkennen gibt. Und das kann selbstverständlich dann – gewissermaßen als Analogon – auch auf Verhältnisse übertragen werden, die außerhalb der Skulptur liegen. Wieweit beispielsweise dürfen die Abstände zwischen den Scheiben, flachen und runden Reifen sein, um das Ganze der Skulptur noch als ein umschlossenes Volumen wahrzunehmen und nicht nur als eine Addition von einzelnen Elementen. Und zum anderen, wie nah dürfen sie maximal zueinanderstehen, um der Skulptur nicht den Charakter der Offenheit zu nehmen?

Dergestaltige Fragen stellen sich eigentlich alltäglich: Wie eng dürfen Menschen zueinander sich positionieren, um sich als Dazukommender nicht als eindringlich zu fühlen? Oder, wie weit dürfen sie sich maximal voneinander entfernt aufstellen, um noch als Team erkannt zu werden?

Ernst Hermanns hat sich sein ganzes Werk lang mit diesen abstrakten und doch so konkreten Fragen beschäftigt. Er hat Werke geschaffen, die als Kommunikationsmodelle für Plätze zu interpretieren sind oder auch solche, die als simple Distanzvorschläge für Spannung und Entspannung zwischen zwei Elementen zu deuten sind. Ohne dass er selbst eine geistige Verwandtschaft zur asiatischen Denkungsart verspürte – seine skulpturalen Fragestellungen sind keine dezidiert westlichen.

Ernst Hermanns: geboren 1914 in Münster; gestorben 2000 Bad Aibling (Nähe München)

 

Raimund Stecker, 14.01.2009