Harmonie, rhythmisch gebrochen
02.06.2006 – 20.08.2006
Harmonie, rhythmisch gebrochen
In der Stiftung DKM installiert Gunter Frentzel eine Skulptur, die die gesamte rückwärtige Wand des Raumes einnimmt und die der Erfahrung vielfältige Optionen anbietet. Das auf die Wand komponierte Motiv baut auf einer komplexen Organisation auf, die neben der geometrischen, der zeichenhaften und der räumlichen Komponente, auch den Bezug zum Publikum betont. Der Künstler hat in regelmäßigen Abständen einzelne Eisenstäbe in einer bestimmen Winkelneigung und parallel zueinander, flach an die Wand gelehnt. Mehrere gestaffelte Stabreihen stehen von der Wand ab und greifen in den Raum. Zwischen den Schichten schaffen Stäbe Querverbindungen. Das Muster, das sich über die gesamte Wand erstreckt, entwickelt ein Eigenleben sobald die Betrachtenden sich vor der Arbeit hin und her bewegen. Die Stäbe scheinen sich zu verschieben, sich an manchen Punkten zu verdichten und sich dann wieder aufzulösen. Sie greifen ineinander und verzahnen sich. Sie bilden Konstellationen, die sich perspektivisch verzerren. Der Wahrnehmung eröffnen sich je nach Standort immer wieder andere Facetten. Die Veränderungen im Vordergrund überspielt jene im Hintergrund, als ob dem Geschehen kein Rhythmus und keine erkennbare Regelhaftigkeit zugrunde liegen und die Ordnung ins Chaos und das Übersichtliche ins Unüberschaubare entgleitet.
2003 hat Gunter Frentzel die erste Wandinstallation in der Baukunstgalerie in Köln realisiert. Auf einem kurzen Wandabschnitt ordnete er eine Anzahl Stäbe nach klar definierten Vorgaben an. Trotz der schlichten Organisation entfaltete sich eine atemberaubende optische Vielfalt. Seither sind die Motive zunehmend komplexer und die Muster vertrackter geworden. Doch wer genau hinsieht, entdeckt, dass die Installation wie alle bisherigen Arbeiten von Gunter Frentzel auf einer deutlich erkennbaren Struktur aufbaut und sich die Veränderungen in der Wahrnehmung abspielen. Bei der Betrachtung stellen sich aber auch verschiedenste Assoziationen ein: Zum Beispiel macht es den Anschein als habe Gunter Frentzel eine unsichtbare Information ins visuelle Spektrum, oder eine mathematische Struktur in Skulptur übersetzt. Die Analogie zur Musik kommt auf. Erinnert etwa an das Genre der Minimal Musik, bei dem sich über einer zugrunde liegenden Melodie immer neue meditative Variationen entwickeln.
Gunter Frentzel, Kunstpreisträger des Kantons Solothurn, ist ein Meister im Umgang mit dem kargen Material. 1997 hat er begonnen mit dem normierten, unprätentiösen Industriestahl zu experimentieren. Seither hat er allein durch Schichten, Stapeln, Hängen oder An-die-Wand-Lehnen unzählige plastische Gestaltungen hervorgebracht. Die Formen mit den visuell oft schwer durchschaubaren Mustern, die sich aus dem Wechsel von Material und Durchblicken ergeben, sind oft derart suggestiv, dass sie die Konstruktionsprinzipien überspielen. Am Anfang legte er ein rundes oder eckiges Schwarzblech auf den Boden und ordnete das eine Ende der Stäbe um die Konturen des Blechs herum, während er das andere Ende an die Wand lehnte. Später ließ er die Bleche weg und arrangierte seine Figuren ohne jegliches Hilfsmittel. So sind fächerförmige Wandarbeiten entstanden, bei denen mehrere Stäbe dicht nebeneinander stehen, das obere Ende an die Wand gelehnt, das untere Ende entlang einer diagonal zur Wand verlaufenden Linie angeordnet. Die leichte Drehung erzeugt Spannung und versetzt das starre Material in Schwingung. Bei den Skulpturen, die er über geometrische Grundrisse konstruiert, verschiebt er die Stäbe bei der Schichtung in zwei gegenüberliegenden Ecken jeweils um ihren Durchmesser nach innen. Den massiven und zugleich fragil wirkenden Gebilden droht Einsturzgefahr. Frentzel treibt die Statik bis auf die Spitze. Jeder Stab, den er etwa bei einer fächerförmigen Bodenarbeit zusätzlich auflegt, würde ins Rutschen geraten. Die Konstruktionen sind stets von den strukturellen Möglichkeiten des Werkstoffs mit bedingt. Der Künstler benützt keine Halterungen und setzt keine Schweißpunkte um die Arbeit zu fixieren. Die Skulpturen stützten sich selbst. Dies gilt auch bei der hier gezeigten Installation, die aus etwa zweihundert Stäben aufgebaut ist und die sich wechselseitig in subtiler Balance halten. Würden nur zwei Stäbe entfernt, bräche die gesamte Anlage in sich zusammen.
Gunter Frentzel denkt Skulptur stets im Zusammenhang mit Raum. Überlegt sich, wie eine autonome Skulptur zu realisieren sei, ohne dass sich diese dem Raum unterordnet. Oder umgekehrt: er überlegt, wie Raum mit Skulptur zu erschließen sei. Die neue Arbeit testet neue Möglichkeiten aus. Indem Frentzel die Stäbe in Dialog mit der Wand stellt, dehnt er die Spielräume der Gattung in Richtung zeichenhafte Wandinstallation aus. Wie die Künstler der Minimal Art ist Frentzel um die Versachlichung der Kunst bemüht. Willkür und Zufälligkeiten schaltet er aus. Pragmatisch folgt er seiner Intuition und seinem Schönheitssinn und schafft immer wieder neue überraschende Formen.
Kathrin Frauenfelder