Ich denke ernsthaft darüber nach, …

DAGMAR KELLER und MARTIN WITTWER

17.05.2001 – 27.05.2001

Keller/Wittwer, Ausstellung Galerie DKM
Foto: Dagmar Keller und Martin Wittwer

“Die Erinnerungen sind ‚ortsgebunden‘, sie ‚gehören‘ den Einheimischen und sind im kollektiven Gedächtnis einer Landschaft verankert.“
Stefan Goldmann, Topoi des Gedenkens.

Ein kleines Dorf.
Innerhalb der nächsten zwei Jahre wird es komplett dem Erdboden gleichgemacht sein; es muss dem Abbau von Braunkohle weichen. Für ihre Häuser und Grundstücke erhalten die Bewohner eine Entschädigung. Mittlerweile stehen ganze Ortsteile leer, die meisten Bewohner sind bereits umgesiedelt. Viele auf ein Gelände, welches unweit des alten Dorfes zu diesem Zweck angekauft wurde. Die wenigen bislang zurückgebliebenen Einwohner leben in einem Geisterdorf, in dem nur noch die Fassaden der Häuser, Gärten, Straßen und Plätze an das alte Leben erinnern. Man sieht kaum noch Menschen in den Straßen. Die Geschichte und die individuellen Erinnerungen an diesen Ort werden Stück für Stück getilgt. Im neuen Dorf existiert beides nur noch als eine Art Zitat. Zum Beispiel wird auf den neuen Kirchturm der Glockenstuhl der alten Kirche gesetzt.

Es ist still geworden.
Der Besuch dieses Ortes, noch vorhanden und doch schon verschwunden, hinterlässt ein eigentümliches Gefühl. Beim Durchstreifen der Gärten, der verlassenen Häuser entdeckt man Hinweise auf die Lebensumstände der früheren Bewohner. Ein Stück zurückgelassener Realität ihrer Träume liegt noch wahrnehmbar vor uns. In einem der Häuser finden wir die Tagebücher, Familienfotos und Dokumente einer zerrütteten Familie. Sie hat ihre Geschichte dem verschwindenden Ort überlassen.
Die Art und Weise, wie ein Garten angelegt wurde, wie viel Bedeutung man der Gestaltung beigemessen hat, vermag einem manchmal kurze Geschichten über die Menschen zu erzählen, die mit diesem Ort gelebt haben. Es sind nur vage Empfindungen, verwurzelt zum Teil in der eigenen Erinnerung, die kurze Szenen in der Einbildung aufblitzen lassen. Szenen, welche sich nicht genau orten lassen, keinen bestimmten Ursprung haben, in ihrer «grotesken» Erscheinungsweise an diesem seltsamen Ort noch nicht Vergangenheit sind und auch nicht mehr Gegenwart. Sie beschreiben einen Zwischenort.

Der Drehort wirkt wie ein «Potemkinsches Dorf», ausgehöhlt und leer. Tatsächlich werden noch Jahre, nachdem die Eigentümer ihre Häuser verlassen haben, die Gärten und Fassaden bis zum endgültigen Abriss gepflegt, um bei Passanten den Eindruck zu erwecken, die Häuser seien noch immer bewohnt. In den verlassenen Häusern finden sich oft Fototapeten, die ein Südsee- oder Schwarzwaldidyll in die eigenen vier Wände holen oder die, wie für die Videoarbeit ausgewählt, Neuschwanstein ins triste Heim zaubern. Diese Bilder sprechen von weitverbreiteten Vorstellungen paradiesischen Glücks. So steht auf der Rückseite der Projektionsfläche die Tapete mit der endlos kreisenden Eule für die Kehrseite der «Alltags-Szenen», als eine Art Allegorie der Verallgemeinerbarkeit menschlichen Glückstrebens. Wie in einem Märchen, welches mit kleinen Abwandlungen immer gleich erzählt wird, scheinen auch unsere Träume, Wünsche und Hoffnungen im Grunde immer die gleichen zu sein.