Morgen ist kein neuer Tag

XOÁN ANLEO

27.10.2003 – 12.01.2004

Ausstellungsansicht Galerie DKM
Foto: Werner J. Hannappel

Xoán Anleo gehört zu jener jungen Künstlergeneration, die sehr bewusst den Status ihrer Werke als Kunst reflektiert. Er arbeitet mit und zwischen ganz unterschiedlichen künstlerischen Gattungen wie der Malerei, der Skulptur, der Objektkunst, der Rauminstallation, dem Videofilm, der Musik und der Performance. Ohne die Entwicklung des modernen Tanzes und der Performance-Kunst ist gerade seine jüngste Arbeit „Morgen ist kein neuer Tag“, die jetzt in der Stiftung DKM zu sehen ist, nicht denkbar.

Viele Arbeiten Xoán Anleos beruhen auf einer zunächst willkürlich erscheinenden, alltäglichen Handlung oder Geste. Dies trifft auf sein Video Morgen ist kein neuer Tag ebenso zu, wie auf die zwei Hemden, die er in der Arbeit Ohne Titel (2002) auf zwei Drahtbügeln an die Wand hängt oder auf die Kunststoffspielzeuge, die in der Rauminstallation Friccion (Reibung, 2002) ein weißgestrichenes Podest bevölkern. Obwohl Anleo ganz alltägliche Objekte verwendet, haben diese Gegenstände im Kontext des Gesamtwerkes nichts Alltägliches mehr an sich.

Betrachten wir Anleos Werke genau, bemerken wir, dass sie auf zentrale Paradigmen der Moderne Bezug nehmen: auf den Status des Kunstwerkes, auf die Rolle des Subjekts, auf unterschiedliche Formen des Erzählens und auf Erfahrung als zentrale Kategorie des ästhetischen Erlebnisses. Kunsthistorische Voraussetzung für seine Arbeiten ist die Auflösung der Grenze zwischen Kunst- und Alltagswelt, wie sie Duchamp erdacht und Warhol nachfolgend perfektioniert hat. In seiner Verwendung alltäglicher Gegenstände und Handlungen geht es Anleo allerdings nicht so sehr darum, die Grenzen zwischen zwei voneinander getrennten Bereichen in Frage zu stellen, als darum, die Strategien der Moderne auf ihre heutige Gültigkeit zu befragen. Dabei kommt er zu überraschenden Einsichten und zu neuen künstlerischen Strategien. Anleo konfrontiert seine Objekte der Alltagswelt nicht mit der Welt der Kunst, sondern er verwendet die Formensprache der Alltagskultur, um hochästhetische Gegen-stände zu produzieren. Diese Gegenstände verweisen zwar noch auf ihre Funktion, ihr Artifizielles macht gleichzeitig deutlich, dass sie dieser Funktion enthoben sind. Sie bewegen sich auf einer Metaebene, die es ihnen ermöglicht, wie ein Zeichen auf etwas Bezeichnetes zu verweisen.

Für Anleo, wie auch für andere Künstler/innen seiner Generation, gehört eine kritische Bestandsaufnahme der Moderne zu den Voraussetzungen, um politisch und ästhetisch relevante Kunst zu schaffen. Das kommt auch in seiner Arbeit Morgen ist kein neuer Tag zum Ausdruck.

Auf vier bis zum Boden reichenden Glasscheiben sehen wir zwei Männer, die unaufhörlich von links nach rechts und von rechts nach links über die gesamte Bildstrecke laufen. Mal stoßen sie zusammen, prallen voneinander ab, setzen ihren Weg wieder allein fort, um sich im nächsten Moment wieder aufeinander zuzubewegen, sich zu verfolgen und wieder voneinander zu trennen. Ein ständiges Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz, Abhängigkeit und Unabhängigkeit, Freundschaft und Feindschaft, Stärke und Hilflosigkeit beginnt und findet kein Ende. Beide Männer sind diesem Prozess ausgeliefert und halten ihn zugleich selbst in Gang. Alle vier Videofilme laufen in einem Loop und beginnen nach ca. 20 Minuten von vorn, so dass Anfang und Ende nicht auszumachen sind.

Die dokumentarischen Aufnahmen einer an sich belanglos scheinenden Handlung entwickeln im Prozess des Sehens und in ihrer ständigen Wiederholung eine psychologische Kraft, die deutlich macht, dass es hier nicht um die zwei Männer geht, die wir sehen, sondern um den Menschen an sich und seine Beziehung zu anderen. Anleos Arbeit zeigt die Widersprüchlichkeit menschlicher Existenz und ihr Scheitern daran, eine in sich geschlossene Identität auszubilden. Beziehungen entstehen, um sich im selben Moment wieder zu lösen oder in Frage zu stellen. Der Mensch ist mal stark, mal hilflos. Seine Beziehungen zu anderen bleiben vage und verändern sich ständig. Das autonome Subjekt, ein weiteres Paradigma der Moderne, wird hier einer Prüfung unterzogen. Anleo zeigt, dass die Autonomie des Subjekts zu den nicht eingelösten Utopien der Moderne zählt. Der Subjektentwurf, der Anleos Protagonisten (die eben keine Charaktere sind) zugrunde liegt, hat etwas Verwirrendes, Schwebendes, Unbestimmtes und Unentschiedenes. Den Handelnden erscheint es unmöglich, einer plausiblen Tätigkeit mit definiertem Ende nachzugehen.

Zu den Wesensmerkmalen seiner Subjekte gehört ihre innere Inkonsistenz und die fast zwanghafte Notwendigkeit, sich immer wieder verändernden Situationen anzupassen. Diese Situationen und menschlichen Beziehungen entwickeln sich nicht in einem linear ablaufenden Prozess weiter, sondern kreisen gewissermaßen um sich selbst. Der Loop (Zirkel), in dem nicht nur diese Arbeit Anleos angelegt ist, versinnbildlicht diese zirkuläre Struktur der Ereignisse. Anleos Protagonisten ist es nicht möglich, sich in der Geschichte nach vorne zu bewegen. Sie wissen: Morgen ist kein neuer Tag.

Söke Dinkla