Neue Kunst

Das Sammeln aktueller Kunst setzt Mitte der 1960er Jahre ein und dauert bis heute an. Dabei richtet sich das Interesse zunächst auf konkrete, später auch auf konzeptuelle Kunst. Die Zuneigung zu plastischen Werken und Rauminstallationen übertrifft diejenige zu gemalten Bildern. Farben finden sich eher als annähernd monochrome Farbfeldmalerei denn als malerische Farbtonmodulation. In Graphik und Zeichnung dominieren die Linie oder die klare Farbfläche.

Erich Reusch, o.T. (elektrostatisches Objekt), 1970
Foto: Werner J. Hannappel

Etwa ein Drittel des Werks von Ernst Hermanns, des einzigen Bildhauers der 1948 in Recklinghausen gegründeten Gruppe junger Westen, befindet sich in der Sammlung DKM. Sein künstlerischer Weg vom Informel zur konkreten Kunst ist nachvollziehbar zu sehen. Als ein Hauptwerk wird der «Düsseldorfer Raum» (1994) dargeboten.

Zur konkreten Kunst tragen die Schweizer Gottfried Honegger als Maler und Plastiker, Peter Stein als Maler und Zeichner sowie Hugo Suter als Plastiker ebenso bei wie Erich Reusch mit einer Bodenskulptur aus Stahlblöcken und mit Rußkästen, Ulrich Erben mit Farbfeldbildern und Alf Schuler mit einer Skulptur, die von der Schwerkraft mit geformt wird.

Von Norbert Kricke stammen zwei kleine plastische Arbeiten sowie eine Reihe von Zeichnungen, darunter sechs Blätter wie ein letztes Ausatmen, die kurz vor seinem Tod entstanden sind. Eine Stahlplastik von Otto Boll in Form eines zu den Enden spitz auslaufenden Kreissegments schreibt imaginär einen kompletten Kreis in den Raum.

Raimund Kummer, Magnum 10, 1982/1990F
Foto: Werner J. Hannappel

Tadaaki Kuwayama ist mit monochromen Farbfeldern vertreten, Bernd Minnich hingegen mit einer sehr atmosphärischen Arbeit in Weiß, Gelb und Gold in einem gestreckten Querrechteck. Qiu Shi-Huas große, weiße Leinwand lässt gleichwohl eine Landschaft wie aus Nebeln auftauchen. Auf der Grenze zwischen gegenstandsfreier und abbildlicher Darstellung bewegen sich die aus der Linie lebenden Tiefdrucke von Ben Nicholson (1966/67).

Felsspaltende Kräfte manifestieren die Skulpturen von Ulrich Rückriem, der gleichzeitig den Gegensatz von polierten Flächen und natürlichen Oberflächen ausspielt. Von Rückriem stammt auch eine Reihe von Bildern mit dem Titel «Damenthema». Giuseppe Spagnulos Arbeit veranschaulicht Stahl aufbrechende Kräfte.

Spielarten konzeptueller Kunst bieten die Chinesen Ai Weiwei, Yin Xiuzhen und Song Dong, die Japaner Yuji Takeoka, Hayato Goto und Katsuhito Nishikawa, die Koreaner Jai Young Park und Lee Ufan, die Engländer Hamish Fulton und Richard Long, die Deutschen Christiane Möbus, Dorothee von Windheim, Raimund Kummer, Thomas Virnich und Nikolaus Koliusis.

Ai Weiwei, Coloured Vases, 2006
Foto: Werner J. Hannappel

Acht der 1001 Stühle («fairy-tales»), die Ai Weiwei zusammen mit gleich vielen Chinesen zur 12. Documenta 2007 nach Kassel gebracht hat, sind in die Sammlung gelangt, zudem «coloured vases», 39 neolithische Gefäße (2000/3000 BCE.), die durch Eintauchen in Industriefarbe bunt gefärbt sind, so dass sie nichts von ihrer Jahrtausende alten Geschichte berichten können. Yin Xiuzhens Installation «Peking-Oper» versetzt den Betrachter/Zuhörer in chinesische Alltagsszenen. Song Dongs Installation «Schreibe deine Botschaft mit Wasser» lädt dazu ein, Gedanken mit Pinsel und Wasser einer Steinplatte anzuvertrauen. Yuji Takeoka verwandelt Sockel, Podeste, Vitrinen, Schranken als Elemente musealer Präsentationen in eigenständig wirkende Formen, die die Aufmerksamkeit auf die Leere richten, auf das Abwesende, das als Energie aber spürbar wird. Katsuhito Nishikawas «Physalis» bildet nicht die Frucht nach, sondern überträgt deren Form durch gigantische Vergrößerung in autonome Skulptur.

Hayato Gotos Skulpturen in Form von Booten weisen auf übertragene Inhalte wie etwa jenes mit kunstvoll gefügtem Geäst, das den Titel «people» trägt. Hamish Fulton und Richard Long, Protagonisten der Land Art, lassen den Betrachter an Wanderungen teilnehmen, entweder durch einen poetisch beschreibenden Satz oder durch Serien von Zeichnungen oder Photographien, die auch die zeitliche Dimension veranschaulichen, oder durch Material, das unterwegs gesammelt und zu einem Steinkreis geformt wurde. Christiane Möbus‘ Werke lassen Humor durchblitzen: «Knochenarbeit» reiht Markknochenstücke zu einer Kette oder «Einer von Vieren» zeigt einen ausgestopften Flamingo unter einem Tisch mit vier Feldern dicht über dem Boden und mit einer schräg gestellten, gläsernen Platte. Es fragt sich: sind drei Flamingos entschwunden?

Thomas Virnich, von der Schule bis zur Kirche, 2001
Foto: Werner J. Hannappel

Thomas Virnich vermittelt bei seinem Werk «Von der Schule bis zur Kirche» eine Vorstellung von der Situation von seinem Atelier in einer ehemaligen Schule über mehrere Häuser bis zur Kirche, wobei auch das Innere der Häuser vom Dach bis zum Keller einzusehen ist. Seine Skulptur «Großer Pott» besteht aus zwei Teilen, die sich aufeinander beziehen: aus einem alten, leeren Kupferkessel und aus mehreren Stücken gebrannten Tons, die zu einer plastischen Form entsprechend dem Kesselvolumen zusammengesetzt sind.

Ulrich Tillmann, Meditationen, 1985/2001

In der Neuen Kunst bildet die Fotographie einen eigenen Sammlungsbereich, dessen Radius Reisefotographien des 19. Jahrhunderts aus Ägypten und Japan ebenso einschließt wie die zeitgenössische eines Wolfgang Volz oder Jaroslav Poncar, ferner die klassische Fotographie in großer Breite mit Namen wie Albert Renger-Patzsch, Adolf Lazi, Herbert List bis Bernd und Hilla Becher und Candida Höfer. Aktuelle Positionen vertreten der Koreaner Kyungwoo Chung, die Japaner Ruiji Miyamoto und Kazuo Katase, die Deutschen Robert Voit, Claudia Terstappen und Ulrich Tillmann, dessen Arbeit «Meditationen» zum Logo des Museum DKM avanciert ist.

Die Sammlungsbereiche Neue Kunst und Fotographie, die weit umfänglicher als hier beschrieben und im Museum DKM ausgestellt sind, wachsen kontinuierlich weiter.